Britta Lumer: Abbild? Antlitz?

Britta Lumer: Dyade


Britta Lumer, Dyade (2016); Tusche / indian ink on ingres paper mounted on canvas, 73 x 59,5 cm

Dyade... Ein schöner Klang, ein fremd klingendes Wort; ein Sinn, der sich kaum im ersten Moment erschliessen will - ein Bildtitel für ein sinnliches Portrait, oder eine Verfremdung, Führung oder Irreführung?

Als erstes fallen die halbgeschlossenen Augen auf; oder blinzeln sie? Oder wendet der Blick sich zuerst dem sinnlichen Mund zu, dem fast barocken Lippenschwung? Ein zierliches Gesicht, ein markantes Kinn - der Träger könnte in einer Meditation oder einem Gebet versunken sein. Das Gesicht ist nicht dem Betrachter eigentlich zugewendet, sondern gegen den Torso (die Schulterpartie deutet ihn an) verdreht, wie in einer Geste der Zuwendung. Es ist eine Bewegung und eine Frische darin.

Markant in der Bildmitte, verschwimmt hingegen scheinbar das obere Drittel. Wie Schlieren ragt es in die Augenpartie bis über die Nase hinweg. Ein Schleier scheint sich sich über das Gesicht legen zu wollen. Soll das Antlitz verborgen werden?

Und weiter ragt von rechts ein Schatten über das Bild: die Kopfbüste sitzt ja nicht in der Mitte, sondern ist deutlich nach links versetzt, im rechten Bildrand hingegen bilden das Umfeld und der Hintergrund des Kopfes ein amorphes Schwarz.

Wie aus der Nacht der Schatten des Mondes, schiebt eine andere menschliche Silhouette in Profilansicht sich über das Gesicht, Mund an Mund. Während die - aus der Perspektive des Portraitkopfs - rechte Gesichtshälfte sparsam aber markant ausgeführt ist, deutlich gezeichnet die Ohrmuschel, welche zusammen mit der leichten Neigung des Kopfes den Eindruck intensiven (Zu-)Hörens verstärkt, scheint die linke Gesichtshälfte sich ins Amorphe aufzulösen, verliert sich hinein in jenen Schatten des zweiten Profils. Der Gesichtsausdruck deutet Gelöstheit an.

Die Tuschezeichnung von Britta Lumer ist eine meisterliche Arbeit: auf dünnstem Ingres-Papier ausgeführt, mit der anspruchsvollen, ja schwierigen Tusche, die eigentlich für solche Ausführungen kaum geeignet scheint. Reichten doch kleine Unsicherheiten schon, um den Bildeindruck zu verfremden oder zu verfälschen. Eine Kalligraphie des menschlichen Gesichts, die mit der erwähnten Gelöstheit keine Erlösung verspricht. Im Gegenteil setzt der Bildtitel, dem Wohlklang zum Trotze, mit dem philosophischen Terminus "Dyade" eine sperrige Landmarke. Platon formulierte unter diesem Begriff den Ursprung der Spaltung des Einen in die Zweiheit und die Quelle der Quantität. Der Titel gibt zu bedenken, was das Auge trennt und zusammenfügt, verschmilzt und wieder auseinandernimmt: das 'Mit-sich-Eine', den Schatten der Zweiheit und die unendlichen Übergänge.

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> Britta Lumer | Ausstellung Refluence im Brandenburgischen Kunstverein: www.bkv-potsdam.de/britta-lumer-refluence